Vom ersten bis zum letzten Kapitel der Bibel entfaltet sich ein göttlicher Plan. Ein Plan, der es dem Menschen ermöglicht, zurück zur ursprünglichen Sabbatruhe zu finden. Die nach der Schöpfung herrschende vollkommene Ruhe JaHuWaHs wurde durch die Sünde gestört. Durch das Liebeswerk des Messias auf Golgatha wird die Sabbatruhe im Menschen wieder hergestellt.
Diese Ausarbeitung ist Teil der Artikelserie „Der Weg der Erlösung zurück zur Sabbatruhe“.
Inhalt dieses Artikels (Auf dieser Seite 8. Kapitel)
- Was ist Wahrheit - Biblisch-hebräisches Denken
- Von der hebräischen zur griechischen Bibel
- Die Denkwelt der antiken Hebräer und Griechen
- Wahrheit tun, Wahrheit geschieht
- Treu, barmherzig, zuverlässig, beständig = Gerechtigkeit
- Herzenswahrheit – ein Beziehungsgeschehen
- Wahrheitserfüllung einer Verheißung
- Wahrheit als sich entfaltender Plan in der Zeitgeschichte
- Leben in der Wahrheit – Ein dringender Appell
Im Laufe der Heilsgeschichte geht der Schöpfer immer wieder Bündnisse mit den Menschen ein. Das hebräische Wort ämät (Wahrheit) bezieht sich vor allem auf die Bündnistreue. Das bedeutet, in der heilsgeschichtlichen Zuverlässigkeit JaHuWaH zu wandeln. Sie reicht von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft. Denn Seine Wahrheitstreue wird sich immer erst in der erfüllten Zeit zeigen. Dabei kann Er Seinen Plan ändern, je nachdem, ob der Mensch den vorgegebenen Weg einschlägt oder ablehnt (Jeremia 18,7-10).
Wie wir in den vorherigen Kapiteln gelernt haben, ist Wahrheit im griechischen und damit in unserem westlichen Denken ein Zustand, ein "Sein". Es ist eine zeitlose und unveränderliche Ordnung. Sie ist beweis- und überprüfbar. Biblisch-hebräisches Denken ist hingegen ein ganzheitliches Verstehen, das von einer Mitte aus die Wirklichkeit im Gesamten erfasst und umfasst. Diese Mitte ist die Gegenwart des einzelnen Menschen in der Zeit. Sie ist aber vor allem der Höhepunkt der Heilsgeschichte auf Golgatha.
Wahrheit ist keine Zustandsaussage, die von der Zeit und der Geschichte losgelöst ist. Für den antiken Hebräer stellt sich Wahrheit als ein Bundes- und Heilsgeschehen dar, das sich in der Zukunft bewahrheitet. Wahrheit erweist sich in der vertrauensvollen Hingabe und den Glauben an die zukünftige Erfüllung der Verheißung JaHuWaHs.
In unserer modernen Welt haben wir eine konkrete Vorstellung von „Zeit“. Nach entsprechend griechischem Verständnis definieren wir sie chronologisch auf einer Zeitachse. Das Vergangene ist für immer vorbei und vor uns liegt die Zukunft. Der gegenwärtige Raum spielt dabei eine übergeordnete Rolle. Wir wollen gut leben, wir wollen immer mehr und wir möchten immer länger leben. An eine Zukunft nach unserem Tod scheinen viele nicht zu glauben. So begehren wir sogar die Organe von (fast) Verstorbenen, um ein paar Jahre länger zu leben – als gäbe es keine Vergangenheit und keine Zukunft jenseits unseres gegenwärtigen Lebens.
Wenn wir die Vergangenheit als abgeschlossen und für uns als bedeutungslos ansehen, wird die Erlösung und die Versöhnung mit unserem Schöpfer nicht unbedingt verständlich. Im Hebräischen gibt es keinen Begriff für „Zeit“ wie wir sie definieren. Es gibt das Wort עת (et), das aber lediglich im Sinne von „Zeitpunkt“ oder „Zeitabschnitt“ zu verstehen ist (vgl. 1. Mose 29,7; 2. Samuel 11,1; Psalm 1,3; 104,27). Zeit ist im hebräischen Denken nicht ohne ein Ereignis denkbar. Und so gibt es auch keine Zeit ohne ein Geschehen.
Der antike Hebräer sieht die Zeit nicht auf Punkte einer imaginären Zeitlinie, sondern er geht vorwärts im Zeitrhythmus seines eigenen Lebens. Die Zeit wird immer vom eigenen Standpunkt des Sprechers aus erklärt. Denn für den Hebräer ist das Leben eine Reise. Alttestamentliche Patriarchen wie Abraham, Isaak und Jakob sahen sich nur als Fremde ohne Bürgerrecht auf dieser Erdenreise (vgl. Hebräer 11,13).
Nach hebräischem Zeitverständnis verbindet die Mitte der Zeit (die Gegenwart) die Vergangenheit mit der Zukunft. Demnach liegt die Vergangenheit vor uns und die Zukunft hinter uns. Die Vergangenheit liegt vor uns, weil unsere Vorfahren Dinge erreicht haben, die für sie abgeschlossen, aber für uns von Bedeutung sind. Auch was wir heute schaffen oder zerstören, wird Auswirkungen auf unsere Kinder haben.
Und so ist es mit dem Erlösungsplan für jeden Einzelnen: Das Erlösungswerk, das unser Erretter vor zweitausend Jahren vollbracht hat, liegt vor uns als eine vollendete Tatsache, die unsere Gegenwart und unsere Zukunft beeinflusst. Bevor JaHuWschuaHs Sein Leben auf Golgatha aushauchte, rief er aus: „Es ist vollbracht!“ Dieses vollendete und vergangene Werk ist für uns heute entscheidend, um eine Zukunft zu haben.
„Denn Ich weiß, was für Gedanken Ich über euch habe, spricht ... [JaHuWaH], Gedanken des Friedens und nicht des Unheils, um euch eine Zukunft [andere Übersetzung: Ausgang] und eine Hoffnung zu geben.“ (Jeremia 29,11).
„So erkenne auch, dass die Weisheit gut ist für deine Seele; wenn du sie gefunden hast, so hast du eine Zukunft, und deine Hoffnung wird nicht zunichtewerden.“ (Sprüche 24,14)
Diese Bibelverse zeigen, dass die Zeit im Hebräischen in erster Linie qualitativ und nicht chronologisch definiert ist. Zeit hat vor allem eine geistliche Bedeutung. Eine rein chronologische Abfolge von Tagen und Jahren wird als vergänglich wahrgenommen, weil es eine irdische Zeit ist. Auf dieser Erde ist allem Leben eine Grenze gesetzt. Die Menschheitsgeschichte bzw. die Heilsgeschichte der Bibel macht nur Sinn, wenn man von einem gegenwärtigen Standpunkt aus, die Vergangenheit und die Zukunft mit einschließt. Die Sterblichkeit steht der Zeitüberlegenheit des Allmächtigen Schöpfers gegenüber:
„Ehe die Berge wurden und Du die Erde und den Erdkreis hervorbrachtest, ja, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist Du Gott! Du lässt den Menschen zum Staub zurückkehren und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschenkinder! [Vgl. Prediger 12,7] Denn tausend Jahre sind vor Dir wie der gestrige Tag, der vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“ (Psalm 90,2.4)
Für die hebräische Sprache ist somit die Zeitform nicht so wichtig. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind relativ, weil sich jede Bewegung in der Zeit mit unserem Handeln und unserer eigenen Lebenszeit verknüpft. Von diesem Standpunkt aus gibt es nur zwei Handlungszeiten: die Handlung, die abgeschlossen ist und diejenige, die noch andauert.
Das Hebräische hat diesbezüglich viel mit Dialekten gemeinsam. So gibt es im Bayerischen nur eine Vergangenheitsform, das Perfekt (vollendete Vergangenheit bzw. 2. Vergangenheit). Es kommt weder das Imperfekt (1. Vergangenheit) noch das Plusquamperfekt (Vorvergangenheit) vor. anstelle von: „Ich besuchte vier Jahre die Grundschule.“ (Imperfekt), heißt es im Bayerischen: „Ich habe vier Jahre die Grundschule besucht.“ (Perfekt)
Im Hebräischen ist die Zeit weder in eine Zeitachse wesentlich, noch ist die Zeit ein wiederkehrend im Sinne eines Kreises, wie wir es von der fernöstlichen Welt kennen. Man denkt die Zeit in einem Kreis oder Zirkel, weil sich die Sonne zirkulär bewegt, und die Sonne alleine unseren Kalender vorgibt. Die antiken Hebräer orientierten sich nicht nach der zirkulären Bewegung der Sonne, sondern nach dem Wechsel der Mondphasen und dem rhythmischen Wechsel von Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte.
Damit lässt sich die Zeit auch als Rhythmus darstellen, der sich an Ereignisse knüpft. Wenn wir die Zeit nicht linear betrachten, sondern rhythmisch, dann enthält jedes Moment alle vorhergehenden Momente und alle noch kommenden Momente. Die Ereignisse sind damit nicht unabhängig und getrennt voneinander. Jedes Ereignis bleibt Teil des Rhythmus. Ein Rhythmus braucht sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft, um einen Sinn zu ergeben. Ein Beispiel findet sich in der Musik: Ein einzelner Klang hängt immer von den anderen Klängen ab, die zuvor angeschlagen wurden und danach angeschlagen werden. Nur so entsteht eine Melodie.
So sind auch die biblischen Festzeiten mit geschichtlichen Ereignissen verbunden. Das Passah bzw. das „Fest der Ungesäuerten Brote“ wurde in Erinnerung der Befreiung aus Ägypten gefeiert. Das Wochenfest schließt die Weizenernte ab (2. Mose 23,16; 34,22; 3. Mose 23,15-21) und man gedachte der Übergabe des Gesetzes am Sinai. Das Laubhüttenfest im Herbst erinnert an die Wüstenwanderung und feiert den Abschluss der Ernte im Herbst (2. Mose 23,14-17; 34,23). Die Ereignisse sind wichtiger als die Zeit.
Das hebräische Wort tekufa, das für das Jahresende im Herbst benutzt wird, bedeutet: „Wende“ oder „Umlauf“ (vgl. 2. Mose 34,22). Dieses Wort kann buchstäblich auch „Rückkehr“ bedeuten. Die Elberfelder-Bibel übersetzt es dementsprechend: „Es geschah bei der Rückkehr des Jahres“ (vgl. 2. Samuel 11,1a). Es markiert das Ende des landwirtschaftlichen Erntezyklus mit dem Laubhüttenfest, bevor im Frühling der Landwirtschaftszyklus von Neuem beginnt.
Der Winter spielt keine Rolle, weil eine geistliche Wirklichkeit mit Hilfe von Saat und Ernte vermittelt werden soll. Der Winter ist die „tote“ Jahreszeit, genauso wie die „Nacht“ der dunkle Teil eines Kalendertages ist. Die Nacht wird nicht erwähnt, als JaHuWaH das Leben auf der Erde schuf: „Und es wurde Abend und es wurde Morgen: der erste Tag“ (1. Mose 1,5-8). Das heißt, das Werk des Schöpfers während der Tageslichtstunden wurde mit dem Abend abgeschlossen. Die Nacht wird nicht genannt, und mit dem Morgen endet der erste Tag. Am selben Morgen beginnt der neue Tag. Winter und Nacht sind deshalb bedeutungslos, weil es darum geht, den gefallenen Menschen das Licht und das Leben zu vermitteln.
Die Feste im zyklischen Jahreslauf werden mit einem historisch-linearen Zeitverständnis verknüpft und weisen vorwärts auf die Zukunft, in der sich die tatsächlichen geistlichen Handlungen im Erlösungsplan entfalten. So steht das im Alten Bund gefeierte Passah für den Tod des Messias. Der Mond war zu diesem Zeitpunkt (14./15. Tag des Monats) immer voll erleuchtet, weil er auf den Höhepunkt des Erlösungsweges weist.
Der erste Tag des Festes der Ungesäuerten Brote war im Alten Bund immer zugleich ein Siebenter-Tag-Sabbat. An diesem ersten Tag des Festes ruhte der Messias im Grab. Am Tag darauf, dem Tag der Webegarbe im Alten Bund, stand unser Erlöser von den Toten auf. Das Wochenfest deutete auf das zukünftige Pfingsten, an dem der Geist JaHuWschuaHs nach Seiner Himmelfahrt in großem Umfang auf die Gläubigen ausgeschüttet wurde, um das Evangelium mit Vollmacht zu verkündigen. Der im Herbst stattfindende alttestamentliche Posaunentag und der Versöhnungstag weisen auf die Handlungen JaHuWschuaHs hin, die sich im „Herbst“ dieser Weltgeschichte ereignen. Mit dem geistlichen „Laubhüttenfest“ wird diese Erdgeschichte mit dem Kommen JaHuWschuaHs abgeschlossen (Hochzeitsmahl des Lammes).
Wir haben einen lebendigen und lebensnahen Gott, der in der Geschichte der Zeit wirkt. Die Weissagungen der alttestamentlichen Propheten sind immer in die geschichtlichen Ereignisse der damaligen Zeit eingebunden. Gleichzeitig weissagen die Propheten, dass die Existenz des Volkes Israels ein Ende finden wird. Sie verweisen nachdrücklich auf ein neues zukünftiges Geschichtshandeln JaHuWaHs. Es tritt aus dem Schatten des alten Kulthandelns Israels heraus in die Wirklichkeit: JaHuWaHs Sohn betritt die Weltbühne und erfüllt, was Mose und die Propheten ankündigt haben. Die Propheten ließen keinen Zweifel, dass nur im neuen Geschichtshandeln JaHuWaHs das Heil zu finden ist (z.B. Jesaja Kapitel 43-66).
Sowie die Ereignisse in der Zeit fortschreiten und den Erlösungsplan aufrollen, so ist es mit dem Gesetz. Das Gesetzeswerk, welches am Sinai gegeben wurde, gibt eine Sicherheit für den Handelnden. Eine Sicherheit in der Gegenwart, welche die Zukunft nicht bedroht. Diese Sicherheit besteht jedoch nur, solange das Volk sich treu an das Gesetz hält und auslebt. Es hat sich herausgestellt, dass der Mensch dazu nicht fähig ist (vgl. Apostelgeschichte 15,10; Galater 5,1). Sowie JaHuWaH unterschiedliche Bündnisse mit den verschiedenen Menschen und Völkern eingeht, so ist auch das Recht bzw. das Gesetz in das jeweilige Geschichtshandeln JaHuWaHs eingebunden. Die Gesetzesübergabe an Mose hat einen geschichtlichen Ort.
Das Gesetz, die Gebote, die Satzungen und Rechte, die ab diesem Zeitpunkt für das Volk Israel galten, sind kein kosmisch unveränderlich festgeschriebenes Gesetzeswerk, das für jedes Zeitalter und jedes Volk gilt. Bräuchte es denn Bündnisse, wenn das Handeln des Menschen an einem Gesetz gemessen wird? Wäre dann nicht auch der stellvertretende Tod des Sohnes JaHuWaHs überflüssig?
„Wir erkennen stückweise und wir weissagen stückweise; wenn aber einmal das Vollkommene da ist, dann wird das Stückwerk weggetan.“ (1. Korinther 13,9-10)
Erkenntnis wird immer bruchstückhaft sein, weil wir immer nur einen Teil des Gesamtwerkes nach JaHuWaHs Plan sehen. Unser Schöpfer handelt jedoch nie willkürlich, Er hält sich immer an Seine Verheißungen und seinem Bund, den Er mit dem jeweiligen Volk eingeht. Das „Gesetz Moses“, welches JaHuWaH für das damalige Volk gab, zeigt symbolhaft und spürbar für die Menschen auf, wie die Stufen der Erlösung aussehen. Es demonstriert, dass sie zwingend einen Erlöser nötig hatten, der sie nur durch Seine Gnade erretten kann – alles andere wäre völlig ungenügend.
„Das sind die Worte, die ich zu euch geredet habe, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was im Gesetz Moses und in den Propheten und den Psalmen von mir geschrieben steht.“ (Lukas 24,44)
Zu unterscheiden sind die Zehn Gebote auf Steintafeln, von denen der Messias im Neuen Bund neun Gebote mehrfach wiederholt und tiefer erläutert (z.B. Bergpredigt). Das Sabbatgebot gebietet Er hingegen an keiner Stelle. Warum? Weil Er jetzt selbst als die verheißene Sabbatruhe unter das Volk getreten ist. Während es für denn Menschen im Alten Bund bei kleinster Übertretung des Sabbatgebotes den sofortigen Tod zur Folge hatte, starb jetzt JaHuWschuaH anstelle des Menschen. Der Gläubige darf nun in Ihm ruhen und es ermöglicht ihm, in Seiner Wahrheit/Treue zu bleiben. Seine Gebote bzw. Worte (vgl. Johannes 15,7-10) übertreffen die Worte auf den irdischen Tafeln des Alten Bundes um ein Mehrfaches. Aber dazu mehr in weiteren Kapiteln dieser Artikelserie über die Sabbatruhe.
Das Volk Israel stand damit im Kontrast zur heidnischen Umgebung, wo die Götter mythisch erlebt wurden und der Natur ein hoher kultischer Stellenwert gegeben wurde. Diese Kultpraxis kennt kein soziales, moralisches verantwortliches Handeln des Menschen selbst, wie es in einem Bund mit JaHuWaH vorherrscht. Im heidnischen Götterkult rechnet man nicht mit einem geschichtlichen Handeln Gottes und dessen Nähe zum einzelnen Gläubigen. Der Schöpfer lässt sich außerdem nicht an Ort und Stelle „binden“ wie es im Götzenkult oder bei so manchen charismatischen Praktiken der Fall ist.
Unser Schöpfer ist dem Gläubigen vielmehr so nah, dass Er sogar spür- und sichtbar mit dem Volk „mitgeht“ und den Weg weist, wie es beim Auszug aus Ägypten geschah und wie JaHuWaH es angekündigt hat: „Ich werde mit euch sein“. Abraham wurde befohlen, seine Heimat zu verlassen. Er lies sich wie Mose auf einen Weg und eine Zukunft ein, die für ihn ungewiss und unvorhersehbar war, aber er verließ sich auf JaHuWaHs Verheißung. Er begleitete Mose und das Volk und nahm damit an der menschlichen Zeit Anteil.
Der irdischen Zeit stellen wir oft fälschlicherweise den Begriff „Ewigkeit“ gegenüber. Viele Bibelleser haben diesbezüglich eine irreführende Vorstellung. Das hebräische Wort olam, das in der Bibel mit Ewigkeit übersetzt wird, bedeutet nicht „Ewigkeit“ im griechisch-platonischen Sinne. Das heißt, es beschreibt nicht primär einen Zustand, der nie endet und außerhalb unserer Zeit vorherrscht. Dieses Wort sagt nichts über eine astronomische Zeitdauer aus. Es bedeutet lediglich eine „grenzenlose Zeit“, die mit unserem eigenen Leben verbunden ist und dessen Ende für uns im Moment nicht absehbar ist. Das hebräische Wort olam kommt von alam und bedeutet „verborgen“ oder „verdeckt“. Das heißt, vom Standpunkt des Schreibers ist (noch) nicht klar, wie lange olam (Ewigkeit) dauert. Ewigkeit kann deshalb auch nur eine kurze Zeit währen.
Olam bedeutet also nicht eine endlos lange Zeit, sondern eine grenzenlose Zeit. Das Ende liegt für uns im Dunkeln. Wenn sich olam auf die Vergangenheit bezieht, kann es sich um die Ewigkeit handeln, wie wir es meist verstehen, z.B. wenn es vom Sohn JaHuWaHs heißt: „Ich war eingesetzt von Ewigkeit [olam] her, vor dem Anfang, vor den Ursprüngen der Erde.“ (Sprüche 8,23). Oder:
„Er hat alles vortrefflich gemacht zu seiner Zeit, auch die Ewigkeit hat er ihnen ins Herz gelegt — nur dass der Mensch das Werk, das Gott getan hat, nicht von Anfang bis zu Ende ergründen kann.“ (Richter 3,11)
Olam als grenzenlose Zeit kann gleichwohl eine kurze Zeitperiode bedeuten, wenn es beispielsweise heißt: „Und ich will dir und deinem Samen nach dir das Land zum ewigen Besitz geben, in dem du ein Fremdling bist, nämlich das ganze Land Kanaan, und ich will ihr Gott sein.“ (1. Mose 17,8). Hier meint „ewig“: solange seine Nachkommen leben. Und wenn geschrieben steht: „Und Achis glaubte David und sprach: Er hat sich bei seinem Volk, bei Israel, ganz stinkend gemacht, und er wird mir zum Knecht sein in Ewigkeit.“ (1. Samuel 27,12), so bedeutet das offensichtlich, dass er, solange er lebt, Knecht sein wird. Oder wenn es heißt: „Was in deinem Haus geboren oder um Geld erkauft wird, soll unbedingt beschnitten werden. So soll mein Bund an eurem Fleisch sein, ein ewiger Bund.“ (1. Mose 17,13). Die Beschneidung wird solange praktiziert, solange dieser Bund mit Abrahams Haus besteht – nicht länger.
Handlungen des alttestamentlichen Priestertums werden ebenfalls als „ewige Ordnung“ bezeichnet (z.B. 2. Mose 28,43). Und selbst das Feuer auf dem Altar wird als „immerwährendes“ (tamid) Feuer beschrieben, das „nie erlöschen“ soll (3. Mose 6,6). Das Feuer wird aber nur solange brennen, solange dieser Bund mit dem alttestamentlichen Volk Israel besteht – nicht länger.
Im Neuen Testament wurde „ewig“ leider ebenso „griechisch“ übersetzt, wie wir heute „ewig“ verstehen. Deshalb kommen so furchtbare Glaubensvorstellungen, wie eine „ewig“ brennende Hölle zustande, in die die „ungerechten“ Menschen geworfen werden und dessen Feuer nie erlöscht. Zunehmend verbreiten fundamentale Protestanten mehr oder weniger lieblos ein solches Szenario. Da ist das katholische Fegefeuer etwas weniger grausam. Der Sünder brennt nur vorübergehend, um geläutert zu werden, weil er es im Leben nicht vermochte. Damit lehrt die Katholische Kirche, dass die Übernahme der Schuld für unsere Sünden durch den Tod des Sohnes des Allmächtigen nicht ausreichend ist.
Aber was sagt unser Erlöser? „Heute, wenn Ihr Meine Stimme hört ...“ (Hebräer 3,7). Der Augenblick vergeht und kehrt nie mehr zurück. Wir dürfen erkennen, wie vergänglich das Leben ist. Wir erleben die Zeit zwar in der Gegenwart, aber gleichzeitig wird uns bewusst, wie sie dahinschwinden: „Die Uhr tickt“. Mit zunehmenden Jahren wird uns klarer, dass unser Dasein ein „Sein zum Tode“ ist, wie es der Philosoph Heidegger ausdrückte. Die meisten Menschen erleben die Zeit auf diese Weise. Es gibt jedoch einen Unterschied in der Deutung des Zeitlichen.
Der „mystische“ oder „esoterische“ Mensch sieht sich selbst in den Kreislauf der Natur eingebunden. Er deutet die Zeit als einen endlosen Kreislauf, als ein immer wiederkehrendes Zeitgeschehen. Davon unterscheidet sich der „philosophische“ oder der „platonische“ Mensch, der das Zeitliche und damit das Vergängliche als das nicht wahrhaft Seiende erkennt. Das „wahrhaft Seiende“ ist für ihn das Zeitlose. So wird auch die Wahrheit als zeitlos verstanden. Die Wahrheit ist demnach immer dieselbe in alle Ewigkeit. Das geistige Ich des Menschen ist mit der ewigen Wahrheit identisch.
Der „glaubende“ Mensch hingegen weiß, dass die Weltzeit endlich ist und sich zwischen der Schöpfung und dem Ende der Erlösung ausdehnt. Die Zeit ist eine historische Zeit, die sich auf ein Ziel hinbewegt. Die Zeitabfolge ist nicht wichtig. Entscheidend ist, dass sich inmitten dieser Weltzeit die Ewigkeit im Messias offenbart hat, als der, der „ist, und der war, und der kommt“ (Offenbarung 1,8), derselbe „gestern und heute und in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8; vgl. auch 2. Mose 3,14). Von diesem einmaligen und einzigartigen Geschehen, das die Vergangenheit mit der Zukunft verknüpft und Zukunft überhaupt erst möglich macht, wird die Zeit völlig anders gedeutet.
Für den glaubenden Menschen ist die Vergangenheit nicht vorüber, sondern er identifiziert sich mit ihr. Er fühlt sich solidarisch mit den ersten Menschen, die JaHuWaH geschaffen hat, und ist sich der Menschheitsschuld bewusst. Aber der Glaubende weiß und empfindet eine tiefe Zuversicht, dass diese Schuld durch den Sohn JaHuWaHs auf Golgatha getilgt ist - die zerbrochene Beziehung zu Ihm ist wieder hergestellt. In dieser Vorvergangenheit sahen uns „Seine Augen“ schon „als ungeformten Keim“ und in Seinem „Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ... [uns] war.“ (Psalm 139,16)
Wir nehmen Anteil am Tod JaHuWschuaHs vor ca. 2000 Jahren, weil unser Stolz mit dieser geschichtlichen Handlung am Kreuz gebrochen wird. Und wir stehen mit Ihm von den Toten auf, weil Er uns dadurch das, durch die Sünde zerstörte Leben zurückgibt. Und somit verbindet sich unsere Gegenwart mit der Zukunft, die durch unseren Erlöser eine positive Wendung nimmt. Der Tod ist damit nicht das Ende des Lebens, vielmehr geht er über in ein Leben voller Freude, Liebe, Friede und Vollkommenheit. Denn die Sünde, samt dem Ursprung des Bösen, wird als letzter Akt im Erlösungsplan für immer ausgelöscht werden (Hesekiel 28,18; 2. Petrus 3,10-13).
„Als letzter Feind wird der Tod beseitigt.“ (1. Korinther 15,26)
Der Gläubige hat deshalb keine Todesfurcht, sondern hoffnungsvolle Freude auf das Zukünftige. Egal, was ihm in diesem Leben widerfahren mag, er weiß: „Mein Gott ist für mich, wer kann da gegen mich sein?“ (Römer 8,31). Er ist sowohl mein Schöpfer, wie auch mein Neuschöpfer. Er ist mein Anwalt genauso, wie er mein Richter ist. Was kann mir passieren? Vor wem sollte ich mich ängstigen?
Die Gegenwart ist belastet durch die Last und der Schuld der Vergangenheit und getrübt durch die Sorge und die Angst der Zeitvergänglichkeit. Wir leben jetzt im „Körper des Todes“ (Römer 7,25). Wenn wir aber in dem auferstandenen Erlöser sind und bleiben, haben wir „ewiges“ Leben (Johannes 3,36; 6,40.54; 11,26). Deshalb ist unser irdisches Leben mit JaHuWschuaH in JaHuWaH noch verborgen (Kolosser 3,3). Aber sobald wir unser Leben nicht mehr in uns selbst suchen, sondern als das geschenkte Leben von der Quelle des Lebens durch den Glauben an JaHuWschuaH, wird es offenbar.
JaHuWaH ist nicht in der Zeit, Er ist Herr der Zeit. Für Ihn sind tausend Jahre wie ein Tag (Psalm 90,4). Das heißt nicht, dass die Ewigkeit keine Zeitelemente hat. Aber das Ende dieses Weltgeschehens wird auch das Ende der irdischen Zeit sein. Die Zeit erfüllt sich (Galater 4,4) bzw. „die Zeiten erfüllen“ sich (Epheser 1,10). Das heißt, die irdische Zeit dient der Erfüllung der jeweiligen festgeschrieben Zeiten des Errettungsplanes durch den Messias JaHuWschuaH. Das Erlösungsgeschehen hat sich dann in der Zeit erfüllt. Wäre dem nicht so, könnte sich der Sündenfall ein weiteres Mal ereignen - trotz der Verwirklichung der Erlösung. Wie nach der Anschauung des Hinduismus und Buddhismus ginge des Leben des Einzelnen in einem unendlichen Kreislauf wieder von vorne los.
Der Mensch steht immer in der Gefahr, die Bedeutung der Gegenwart nicht zu erkennen. Es ist keine Zeit, die einfach so vorbeizieht. Die Gegenwart ist die Zeit der Entscheidung und der Bewährung. Paulus erinnert die Korinther an Jesaja 49,8, wo es heißt, dass die angenehme Zeit jetzt ist. Jetzt ist die Zeit des Heils (2. Korinther 6,2). „Kauft die Zeit aus!“, appelliert Paulus (Epheser 5,16; Kolosser 4,5). Es gilt eine Entscheidung zu treffen, und zwar heute. „Heute, wenn ihr Seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“ (Hebräer 3,7.15; 4,7; Psalm 95,7-8).
„Gedenke an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre herannahen, von denen du sagen wirst: »Sie gefallen mir nicht«; ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne sich verfinstern und die Wolken nach dem Regen wiederkehren.“ (Prediger 12,1-2)
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