„Was ist Wahrheit?“ Diese berühmte Frage stellte Pontius Pilatus vor ca. 2000 Jahren dem Messias auf dessen Aussage, Er sei gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis zu geben. Er versicherte zudem, dass Ihn alle erkennen werden, die „aus der Wahrheit sind“ (Johannes 18,36-40).
Zu allen Zeiten und in verschiedenen Kulturen ist die Frage gestellt worden: „Was ist Wahrheit?“ Sie wurde von den diversen Denkern der Philosophie unterschiedlich beantwortet. Für Aristoteles ...
Diese Ausarbeitung ist Teil der Artikelserie „Der Weg der Erlösung zurück zur Sabbatruhe“.
Inhalt dieses Artikels (Auf dieser Seite 1. Kapitel)
- Was ist Wahrheit? - Biblisch-hebräisches Denken
- Von der hebräischen zur griechischen Bibel
- Die Denkwelt der antiken Hebräer und Griechen
- Wahrheit tun, Wahrheit geschieht
- Treu, barmherzig, zuverlässig, beständig = Gerechtigkeit
- Herzenswahrheit – ein Beziehungsgeschehen
- Wahrheitserfüllung einer Verheißung
- Wahrheit als sich entfaltender Plan in der Zeitgeschichte
- Leben in der Wahrheit – Ein dringender Appell
Für Aristoteles (384-322 v.u.Z.) ergab sich die Wahrheit aus der Übereinstimmung einer Behauptung mit der Wirklichkeit. Eine Aussage ist dann wahr, wenn sie sichtbar und nachprüfbar ist (Korrespondenztheorie). Platon (427-348 v.u.Z.) ging einen Schritt weiter, indem er zwischen der Wirklichkeit unterschied, die dem Menschen zugänglich ist und die schattenhafte Welt der Ideen, die „göttliche“ Wahrheit. Die Wahrheit liegt nicht im Sichtbaren, sondern im Verborgenen: das wahre Sein. Der Mensch nimmt nur die Schatten bzw. die Abbilder der Wirklichkeit war. Dabei ging er davon aus, dass die Seele des Menschen durch die verschiedenen Wahrheitsstufen nach oben steigen muss, um das Gute und Wahrhaftige zu ergreifen.
Diese Theorie wurde von dem einflussreichen jüdischen Philosophen und Theologen Philon von Alexandrien (ca. 15/10 v.u.Z.–ca. 40 u.Z.) und der Gnosis weiterentwickelt. Dieses Wahrheitsverständnis findet heute Ausdruck in der Esoterik und Theosophie. Die Deutung von Wahrheit veränderte sich dahingehend, dass es nicht mehr die Wirklichkeit von den sichtbaren, irdischen Dingen ist, sondern eine unveränderliche, überirdische Wahrheit.
Die Gnosis oder Gnostizismus bezeichnet verschiedene religiöse Lehren und Gruppierungen, die zwischen dem zweiten vorchristlichen Zeitalter und dem zweiten nachchristlichen Zeitalter entstanden (z.B. die Apokryphen oder das Buch Henoch). Die gnostischen Lehren und Schriften unterscheiden sich von den Evangelien des Neuen Testament besonders in einem entscheidenden Punkt. Der Messias wird im Gnostizismus so dargestellt, als sei er nicht gekommen, um durch Seinen freiwilligen Tod den Menschen von der Sünde zu erlösen; er sei vielmehr gekommen, um die rechte Erkenntnis (Gnosis) zu vermitteln, welche vor dem Tod bewahrt. Wie auch im Buddhismus, Hinduismus, Esoterik, usw., muss demnach das Gute mit dem Bösen verbunden bzw. das Böse muss integriert werden, um Erlösung zu erlangen. Der biblische Glaube hingegen vermittelt eine strikte Trennung von Gut und Böse.
Es kamen weitere Wahrheitstheorien hinzu. Nach der Kohärenztheorie ist eine Behauptung dann wahr, wenn diese völlig widerspruchsfrei zu allen anderen wahren Aussagen ist. Dies führt zu einem Zirkelschluss, weil die anderen Behauptungen fehlerhaft sein können. Bei der Konsenstheorie hängt die Wahrheit einer Aussage davon ab, ob sich durch Argumente für diese Behauptung eine allgemeine Übereinstimmung herstellen lässt. Das heißt, nachdem durch Argumente ein Konsens gefunden wurde, gilt eine Aussage als „wahr“ und wird allgemeingültig verkündigt. Diese „Wahrheit“ ist dann für jedermann und dauerhaft verbindlich. Sie kann jedoch durch wissenschaftliche Erkenntnis aktualisiert werden.
Dieses Wahrheitsverständnis ist äußerst fragwürdig. Die allgemeine Übereinstimmung einer Aussage kommt meist durch die Mächtigen und Regierenden zustande und dem Umstand, wessen „Geistes Kind“ sie sind. Wem dienen sie und welches Ziel streben sie an? Wir haben derzeit ein gutes Beispiel für einen solchen Konsens in der Coronakrise. Einige Wissenschaftler (diejenigen, die „die Wahrheit“ herausfinden und begründen sollen) beraten die Regierenden. Diese kleine Gruppe innerhalb der Weltbevölkerung kommt zur Übereinstimmung, dass das Coronavirus tödlich ist und deshalb nahezu alle Grund- und Menschenrechte eingeschränkt werden müssen. Die dahingehend erlassenen „Infektionsschutzgesetze“ können deshalb, wenn nötig, mit Gewalt durchgesetzt werden. Diese „Wahrheit“ ist für die gesamte Weltbevölkerung verbindlich, obwohl weltweit zahlreiche Wissenschaftler, Virologen, Ärzte, Psychologen, Anwälte, Lehrer und Menschenrechtler protestieren. Sie sind zur Überzeugung gelangt, diese Meinung sei eine Lüge: Der Virus ist nicht tödlich und rechtfertige deshalb nicht diese extremen Grundrechtseingriffe (Rechtsanwälte dieser Partei untersucht seit Juli 2020 in einem Corona-Ausschuss akribisch und mit großem Zeitaufwand, die herrschende "Wahrheit" zu widerlegen).
Im Idealismus gewinnt der Einzelne mehr an Gewicht. Demnach kann es gar keine absolute Wahrheit geben. Jeder hat durch kulturelle, soziale und religiöse Prägung seine eigene Wahrheit. Beweisen lässt sich das nicht, aber auch nicht das Gegenteil. Die Wahrheit hängt davon ab, ob eine Gemeinschaft einen gemeinsamen Nenner findet.
Der grundlegende Wahrheitsbegriff der Bibel birgt hingegen ein völlig anderes Konzept von Wahrheit in sich. „Wahrheit“ wird zwar für einen nachprüfbaren Sachverhalt verwendet, aber spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das biblische Wahrheitskonzept ist „grundlegend“, weil es den gesamten Vorgang des Erlösungsweges vom Beginn bis zum Ende nicht nur aufzeigt, sondern in den verschieden Zeitepochen erfüllt. Wir verwenden häufig ein Sprichwort, das den Sinn des hebräischen Wahrheitsdenkens auf den Punkt bringt: „Die Zeit bringt die Wahrheit ans Licht“. Es ist ein Wahrheitsverständnis, das jedes Kind verstehen kann. Es ist keine abstrakte Definition der Wahrheit. Die biblische Wahrheit zeigt sich vielmehr im Handeln und in der Erfüllung des Erlösungsplanes, der von Anfang der Welt gelegt wurde.
„Während nämlich die Juden ein Zeichen fordern und die Griechen Weisheit verlangen, verkündigen wir den Messias den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, sowohl Juden als auch Griechen, verkündigen wir den Messias, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1. Korinther 1,22-24)
In unserer westlichen Welt ist uns meist nicht bewusst, wie sehr wir vom griechischen Denken und einer hellenistischen Weltanschauung geprägt sind. Wir sind davon so sehr geprägt, dass wir gar nicht darüber nachdenken, dass grundlegende Dinge auch anders gesehen und verstanden werden können. Aus dieser uns gewohnten und durch unsere Kultur geprägten Sicht lesen wir die Bibel. Biblische Offenbarung und damit gleichermaßen die „Wahrheit“ unterscheidet sich maßgeblich von philosophischen Anschauungen und deren Wahrheitsverständnis.
Viele Bibelgläubige verstehen den biblischen Wahrheitsbegriff in gleicher Weise, wie es die „weltlichen“ Wahrheitstheorien vorgeben. Die Worte des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Anatole France (1844–1924) werden dabei häufig zur Realität: „Die Wahrheit kann auch eine Keule sein, mit der man andere erschlägt.“ Und die Aussage des amerikanischen Schriftstellers Josh Billings (1818–1885) trifft ohne Zweifel zu: „So wenig Wahrheit es auf der Welt auch gibt, das Angebot übersteigt die Nachfrage noch bei Weitem.“
Uns muss immer bewusst sein, dass die uns überlieferten biblischen Bücher Übersetzungen sind. Keine zwei Übersetzungen sind gleich. Alle Übersetzungen sind das Ergebnis von Entscheidungen der Übersetzer, welches Wort verwendet wird. Selbst begnadete Übersetzer können sich widersprechen. Alleine schon deshalb sind wir falsch beraten, wenn wir meinen, wir müssten die Bibel wortwörtlich verstehen. Es gilt zu unterscheiden, welche Aussagen Bilder, Symbole oder Gleichnisse und welche Aussagen direkte Anweisungen JaHuWaHs für unser gegenwärtiges Leben sind. So lesen wir, dass die Berge mit Jauchzen frohlocken (Jesaja 4,23) oder die Täler und die Bäume im Wald jauchzen und singen (Psalm 65,14; 1. Chroniker 16,33). In Wirklichkeit frohlocken Berge nicht und Bäume singen auch nicht.
Die Bibel ist voller poetischer Sprache. Symbole und Metapher veranschaulichen die Wirklichkeit, um sie besser oder überhaupt erst verstehen zu können. JaHuWschuaH lehrte fast nur in Gleichnissen. Diese Geschichten sind nicht wirklich geschehen und trotzdem offenbaren sie die Wahrheit über das Handeln JaHuWaHs und Seine Beziehung mit den Menschen. Symbole und Gleichnisse sind für uns Erdbewohner eine Hilfe, die Wege unseres Schöpfers besser zu verstehen. Es steckt darin so viel Wahrheit, obwohl diese Metapher selbst nicht beweisbar oder real sind – was nach unserem Wahrheitsverständnis schwer zusammengeht.
Wir neigen dazu, Informationen und auch Bibelstellen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen und unsere Überzeugungen stützen. Nicht ganz von der Hand zu weisen sind die Worte des Philologen Friedrich Nietzsche (1844–1900): „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.“
Mit der Katholischen Kirche in den ersten Jahrhunderten angefangen, haben alle Kirchen, Glaubensorganisationen und viele Glaubensgemeinschaften sogenannte „Glaubenspunkte“ entwickelt und stellen Dogmen auf. Ein „Dogma“ ist ein verbindlicher Lehrsatz, welcher eine absolute Wahrheit für sich in Anspruch nimmt. Von Gemeindegliedern wird gefordert, dass sie sich diesen Dogmen im Gehorsam unterwerfen. Das Heil des einzelnen Mitglieds liegt somit an dieser, von den Vorstehern der Kirchen und Gemeinden formulierten „Wahrheit“. Es ist also der Glaube an das Dogma selbst, der zur Heilsbedingung gemacht wird.
Das Christentum, wie es heute existiert, gründet sich auf der Erkenntnis der hellenistischen Gnosis und der neuplatonischen Philosophie in dem Umfang, wie sie sich aus den biblischen Schriften speist. Die Bücher des Neuen Testaments gründen sich auf dem Alten Testament. Es ist deshalb für uns hilfreich, die Gedankengänge hinter der antiken hebräischen Sprache etwas näher zu betrachten.
Damit will ich nicht sagen, dass das griechische Denken und die griechische Kultur schlecht wären. Im Gegenteil, viele Dinge wurden durch das strukturierte und perfektionistische Denken für den neuzeitlichen Menschen verständlicher. Auch müssen wir das hebräische Denken nicht verstehen, um errettet zu werden. Das ginge in eine gnostische Richtung. Es ist der Glaube wie ein Kind, welches zur Quelle des Lebens führt. Das hebräische Verständnis kann eine Hilfestellung für ein kindliches Denken sein und es vermag einen tieferen geistlichen Zugang zu den biblischen Aussagen schenken.
Nächstes Kapitel: Von der Hebräischen zur griechischen Bibel